Rezension | „22 Bahnen“ von Caroline Wahl

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Autorin: Caroline Wahl / 208 Seiten / Hardcover mit Schutzumschlag / Verlag: Dumont / auch erhältlich bei: geniallokal.deThalia.de

 

Der Plot…

Tildas Tage sind strikt durchgetaktet: studieren, an der Supermarktkasse sitzen, sich um ihre kleine Schwester Ida kümmern – und an schlechten Tagen auch um die Mutter. Zu dritt wohnen sie im traurigsten Haus der Fröhlichstraße in einer Kleinstadt, die Tilda hasst. Ihre Freunde sind längst weg, leben in Amsterdam oder Berlin, nur Tilda ist geblieben. Denn irgendjemand muss für Ida da sein, Geld verdienen, die Verantwortung tragen. Nennenswerte Väter gibt es keine, die Mutter ist alkoholabhängig. Eines Tages aber geraten die Dinge in Bewegung: Tilda bekommt eine Promotion in Berlin in Aussicht gestellt, und es blitzt eine Zukunft auf, die Freiheit verspricht. Und dann ist da noch Viktor, der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda früher befreundet war. Viktor, der – genau wie sie – immer 22 Bahnen schwimmt. Doch als Tilda schon beinahe glaubt, es könnte alles gut werden, gerät die Situation zu Hause vollends außer Kontrolle.

 

 

 

Mein Resumé…

Schon beim Stöbern durch die Verlagsvorschauen, stach 22 BAHNEN hervor. Die Gestaltung ist etwas für das Auge, aber vor allem holte mich die Klappe sofort ab. 

Einen Roman mit dem Herunterratern von Einkäufen beginnen (und es über die gesamte Buchlänge einfließen lassen)?! Das hat schon was. Der Inhalt besticht durch den reduzierten Erzählstil und Figuren, die mich auch jetzt noch nicht losgelassen haben. In fast stakkatoartigen Umschreibungen, nahm mich Protagonistin Tilda mit durch ihren Alltag. Dieser ist streng durchgetaktet und aufgegliedert zwischen Studium, Supermarktjob, ihrer kleinen Schwester Ida und schwimmen. 
Tildas Charakter ist analytisch, strukturiert und vorsichtig. Dadurch wirkt sie zunächst sehr unnahbar, was sich für mich jedoch schon rasch durch ihre Situation daheim erklärt. Mit einer alkoholkranken Mutter, die unter Vollrausch durchs Leben torkelt und nichts auf die Reihe kriegt, sieht sich Tilda verpflichtet ihrer kleinen Schwester ein Vorbild und Stütze zu sein. Wut und Hoffnungslosigkeit kommen in winzigen Wellen immer wieder in Tilda hoch, um dann im Becken des örtlichen Schwimmbads abgearbeitet zu werden. Ihre eigenen Träume versiegen in der Sommerhitze und mit jedem Vollrausch der Mutter immer mehr, bis Tildas Professor an der Uni ein Angebot für sie hat. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit fasst sie einen Plan, doch hierfür muss auch ihre kleine Schwester Ida aus dem Schutzpanzer ausbrechen.

Die Figuren sind sehr lebensnah gezeichnet. Man benötigt ein paar Seiten um Tildas Inneres zu erfassen. Genauso wie sie Zeit benötigt, um neue Situationen und Menschen zu akzeptieren. Den Schreibstil sah ich als eine Art Reflektion ihrer Persönlichkeit. Tildas Gedanken, in den sie den Leser blicken lässt. 
Ida, die kleine freche Heldin im rotgepunkteten Badeanzug, die am liebsten an Regentagen im Freibad schwimmt, ließ mein Herz bluten und gleichzeitig überquellen. Was für ein außergewöhnliches, schlaues und starkes Mädchen.
Die warme, aber nicht überzuckerte Verbindung zwischen Tilda und Ida ging mir unter die Haut. Die Geschwister haben ihre eigene Art miteinander zu kommunizieren. Eine Geheimsprache, die niemand verstehen soll. Viktor, der Bruder von Tildas verstorbenen Freund, ist zunächst ein Rätsel und bleibt im Verlauf auch eher im Hintergrund. Mir gefiel sein Part, weil er in Tilda und Idas Leben nicht unwichtig wird, dabei jedoch nicht omnipräsent ist. Tilda und Idas Mutter bleibt blasser, was jedoch der Lebensumstände entspricht.

22 BAHNEN hat 208 starke Seiten, die stellenweise schwer im Magen liegen, dem Hals einen Kloß reinsetzen, aber den Leser auch einige Male zum lächeln bringen.

 

 

 

Tacheles…

Caroline Wahls Debüt 22 BAHNEN befasst sich mit der Besonderheit einer Geschwisterbeziehung, Herkunft, Abnabelung und Verarbeitung von Traumata sowie Freundschaft und Liebe. Für mich sind Tilda und Ida der Beweis, dass Held:innen nicht zwangsläufig einen Cape benötigen um über sich hinauszuwachsen. Dieses großartige Debüt werde ich in diesem Jahr einfach jedem empfehlen.

 

Der Dumont Verlag stellte mir für meine unabhängige Meinung das Buch als Rezensionsexemplar zu Verfügung. Vielen Dank dafür!


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